80.000 Kreative proben den Aufstand
Von Thomas Winkler
Geht's der Gema an die Wäsche? Mehr als 80.000 Musiker, Konzertveranstalter und andere Kulturschaffende haben eine Petition unterzeichnet, die den Bundestag auffordert, den als bürokratisch und gierig gescholtenen Musikrechteverwerter endlich zu maßregeln.
Die muss sich ganz schön was anhören: "Arrogant" sei sie, mindestens "weltfremd" und "undemokratisch", eine "Mafia mit staatlicher Legitimation", ein "Apartheidsregime für Musiker", das "Rechtsbruch" betreibt und mit "immenser Bürokratie" und "Stempel-Stempel-Bullshit" Kultur "vernichtet und verhindert".
Und wer ist die Adressatin dieser Flut an Beleidigungen? Es ist: die Gema. Ja, genau: Die altehrwürdige Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte wird auf der Web-Seite des Deutschen Bundestags nach allen Regeln der Kunst beschimpft und niedergemacht. Wie, fragt man sich, kann eine mehr als hundert Jahre alte Institution mit einem solch langweiligen Namen und einem solch verwinkelten Betätigungsfeld derartige Gefühle auslösen?
Der Anlass ist eine Petition, die minütlich neue Unterstützer findet. Eine Petition, die recht trocken fordert, "der Deutsche Bundestag möge beschließen, dass das Handeln der Gema auf ihre Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz, Vereinsgesetz und Urheberrecht überprüft wird". Sexy geht anders, aber trotzdem rattert der Unterschriftenzähler: 80.182 (Stand: Dienstag, 15.35 Uhr) wollen der Gema an die Wäsche. Warum machen Zehntausende ihrem Ärger Luft und vertrauen ihr Leid einer Petitionsliste an?
Genau darum geht es, sagt Monika Bestle, um "einen Leidensdruck", der sich aufgebaut habe seit Jahrzehnten und offensichtlich nicht nur bei ihr. Sie ist die Initiatorin der Petition und findet die Resonanz auf ihre Eingabe "umwerfend". Vor allem aber ist Bestle die Leiterin der Kulturwerkstatt in Sonthofen im Oberallgäu. Seit 13 Jahren. Und seit 13 Jahren ist die Gema "ein immerwährendes Thema". Die Kleinveranstalterin wirft der Verwertungsgesellschaft, an die sie Abgaben entrichten muss, "Willkür" vor und meint sogar, dass sie gegen Gesetze verstoße.
Aus ihrer 13-jährigen Praxis kann sie viele Geschichten erzählen, die diese Thesen stützen. Einmal schickte ihr die Gema eine Rechnung über 1098 Euro für ein Konzert, das nie bei ihr stattgefunden hatte. Erst nach monatelangem Kleinkrieg und einem langwierigen Briefwechsel erkannte die Behörde ihren Irrtum und stornierte die Rechnung. Das gesamte Abrechnungswesen, sagt nicht nur Bestle, ist so kompliziert, dass es einen gewaltigen Arbeitsaufwand nach sich zieht. Ein kleiner lokaler Veranstalter wie ihre Kulturwerkstatt könne problemlos einen Menschen Vollzeit damit betrauen, sich mit der Gema und deren Papierkrieg zu beschäftigen. Die Gema, so Bestle, bedrohe Kleinstveranstalter wie sie in ihrer Existenz: "Man kann mit der Kultur nicht reich werden, das ist schon klar. Aber man sollte doch überleben können."
Selbst Rechtsanwälte, die sich mit der Materie befassen, geben unumwunden zu, dass das komplexe Gema-System aus Abgaben und Ausschüttungen nicht zu durchschauen ist. Es gibt Kulturarbeiter, die der Gema unterstellen, ihre Abrechnungen absichtlich so kompliziert zu halten, um Fehler und falsche Forderungen zu verschleiern. Oder sie vermuten gleich, nicht einmal die Gema durchschaue ihr eigenes System. Ja, sogar die Musiker, die eigentlich von der Gema profitieren und zumeist ihre Mitglieder sind, zeigen sich oft unzufrieden, weil sie meist nicht verstehen, warum sie für welche Leistung wie viel Geld bekommen.
"Wir wissen, dass es da Probleme gibt", sagt Bettina Müller, "vor allem bei den kleinen, oft ehrenamtlichen Veranstaltern." Müller ist Sprecherin der Gema und momentan nicht zu beneiden um ihren Job. Die Diskussion um die Gema, das hat die Petition zumindest erreicht, wird so öffentlich wie nie zuvor geführt. Bis Bestle ihre Initiative startete, grummelten die meisten Veranstalter und Kleinkünstler einsam und isoliert vor sich hin. Nun haben sie ein gemeinsames Ventil gefunden. Und das Gefühl, nicht mehr allein zu stehen gegen eine allmächtige Institution, die ihnen mitunter vorkam wie aus einem von Kafka entworfenen Szenario.
Müller legt großen Wert darauf, dass ihr Arbeitgeber mitten in einer Wandlung steckt. Seit 2006, seit Harald Heker den Vorstandsvorsitz übernahm, arbeite die Organisation "mit Hochdruck" daran die "neue Unternehmensstrategie" umzusetzen.
Man habe Mitgliederbefragungen durchgeführt, das Meldungsverfahren auf der Web-Seite vereinfacht und für Kleinstveranstalter extra einen gerechteren "Sozial- und Kulturtarif" eingeführt. "Dass der Verteilungsplan höchst komplex ist, das steht außer Frage", gibt Müller zu und erinnert sich an nervenzerfetzende Auseinandersetzungen über rechnerische Details bei Mitgliederversammlungen. Aber man müsse bedenken, dass schließlich auch an internationale Künstler ausgeschüttet wird, Verträge mit Verwertungsgesellschaften aus aller Herren Länder abgeschlossen wurden.
Trotzdem seien "Lehrstuhlinhaber für Mathematik" momentan damit beschäftigt, den Ausschüttungsschlüssel, das sogenannte PRO-Verfahren, an dem viele Musiker verzweifeln, zu vereinfachen. Denn wer mit PRO abrechnet, der darf sich herumschlagen mit Fachbegriffen wie "Matrix-Kennzahl" oder "TIS-Code", mit dem "Faktor C" oder dem "Faktor P". Immerhin: "Die Prozesse laufen", verspricht Müller, "aber wir bitten da um etwas Geduld. Wir können nicht von heute auf morgen alles ändern."
2. Teil: Die Angst vor Tariferhöhungen geht um
Bernd Schweinar kann das verstehen. Die Gema, sagt er, sei "wie ein Tanker, der auch nicht plötzlich eine scharfe Kurve schlagen kann". Schweinar arbeitet für das "Rock.Büro Süd". Das sitzt in einem Schloss im oberpfälzischen Alteglofsheim und dort melden sich immer wieder verzweifelte Veranstalter und suchen Rat, Aufklärung und Hilfe im bürokratischen Dickicht. Zu Recht, findet Schweinar: "Der bürokratische Aufwand ist enorm, und wir sagen der Gema schon lange, sie solle sich bewegen, aber das ist in Jahrzehnten gewachsen." Meistens könne man den Betroffenen helfen, die Gema lasse im Zweifelsfall mit sich reden. Grundsätzlich aber leide der Verwertungsriese an fehlender Transparenz und an Kommunikationsdefiziten: "Dieser Dschungel, der gehört gelichtet."
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